5 kostenlose digitale Fortbildungen

Klassische und digitale Werbung

Klassik vs. Digital – wirklich, immer noch?

Indesign oder Sketch? Long- oder Microcopy? Große Ideen oder Atomic Design? Und was ist bitte schön dieses „InVision“? Manchmal scheinen klassische Werbung und digitale Werbung in verschiedenen Galaxien stattzufinden. Im nächsten Moment fragt man sich, ob es überhaupt noch eine Trennung gibt. Und falls ja: Wo die Unterschiede liegen. Man könnte nun Thesen zu „Push und Pull“, „Monolog und Dialog“, den Anforderungen spezieller Kanäle und der Zukunft der Werbung im Allgemeinen aufstellen. Das haben aber viele kluge Köpfe bereits umfassend getan. Deshalb Theorie beiseite: Wenn man tagtäglich sowohl in eher klassisch geprägten, als auch in reinen Digitalteams arbeitet, fallen einem zwei wesentliche Unterschiede auf – mal mehr und mal fast gar nicht ausgeprägt.

„Technik vs. Idee“ oder „das Klavier vs. Chopin“

Hätte Chopin kein Klavier gehabt – oder nicht gewusst, wie man es spielt – hätte er nie die Sonata No. 2 komponiert. Er hätte vielleicht etwas für Violine arrangiert. Oder für Harfe. In jedem Fall wäre aber ein vollkommen anderes Stück entstanden. Genauso stehen Idee und Technik zueinander. Die Technik – also das Medium mit speziellen Anforderungen wie Programmierumgebung, Schnittstellen, Kamera, Format, Zeitvorgaben oder KB-Zahlen – ist das Klavier. Die Idee ist die Komposition, die dafür entsteht. Bei Kampagnen, in denen viele verschiedene Medien zusammenspielen, funktioniert die Idee dann wie eine Partitur für ein gesamtes Orchester. Natürlich muss der Komponist nicht jedes Instrument vollkommen beherrschen. Aber wissen, dass er es überhaupt einsetzen könnte, wie es klingt und was damit möglich ist.

In eher klassischen Teams gibt es manchmal eine Tendenz, zu komponieren ohne seine Instrumente wirklich zu kennen. In Digitalteams herrscht ab und zu so große Begeisterung für das Klavier, dass darüber die Komposition in den Hintergrund tritt.

„Meine Idee vs. unsere Idee“ oder „Komponist vs. Orchestergraben“

Im der klassischen Werbung gibt es meist einen einzelnen Komponisten. Also einen Texter, Art Director oder ein Kreativteam. Der hat die Idee zu einem Stück. Damit schließt er sich drei Tage in der stillen Kammer ein und kommt mit einer fertigen Partitur wieder heraus. Nun werden Musiker gesucht, die das Werk nach seiner Vorstellung spielen können: zum Beispiel Regisseure, Fotografen, Designer oder Illustratoren. Am Ende erinnert man sich meist aber nur an den Komponisten selbst – und nicht an den ersten Pianisten, der seine Sonata No. 2 vorgetragen hat. Auch im Digitalbereich hat jemand die Idee für ein Stück. Er schließt sich aber nicht damit ein. Sondern läuft schnurstracks in den Orchestergraben und ruft „Leute, mir ist da so ne Melodie eingefallen!“ Und weil jeder Musiker dort – also UXler, Entwickler, Designer usw. – sein Instrument wirklich beherrscht, machen sie gemeinsam eine Partitur daraus. Darauf wäre Chopin im Leben nicht gekommen.

Und was bedeutet das für die Werbung?

Apropos „Chopins Zeiten“: Natürlich gibt es noch Klavier, Violine und Harfe. Es sind aber so viele Instrumente hinzugekommen, dass selbst die größten aller Maestros nicht mehr jedes einzelne virtuos beherrschen können. Und ständig werden es mehr. Deshalb funktionieren Instrument und Komposition – also Technik und Idee – kaum noch losgelöst voneinander. Schließlich kann ein innovatives Instrument Inspiration für ein völlig neuartiges Stück sein. Und kaum ein Kunde möchte eine Partitur kaufen ohne zu wissen, wie sie am Ende klingt.

Diesen Anforderungen kann der geniale Komponist in seiner stillen Kammer immer weniger gerecht werden: Er braucht dazu von Anfang an die Experten aus seinem Orchester. Gleichzeitig fordern die Nachwuchsmusiker immer stärker gemeinschaftliches Komponieren ein – und zwar sowohl in klassischen als auch digitalen Teams.

Wird deshalb der geniale Komponist aussterben? Oder muss er nicht einfach seine stille Kammer verlassen und sich als Teil des Orchesters und Impulsgeber verstehen? So wird die Idee nämlich immer wichtiger. Denn sie gehört nicht mehr einem einzelnen Kreativen – sondern allen.